Schmerzen - Die Übertragung
23. September 2018
Im vorangegangenen Blog wurde Schmerz als eine Reaktion auf effektiven und potentiellen Gewebsschaden beschrieben. Der effektive Gewebsschaden ist leicht verständlich – ein Schnitt im Finger, ein Beinbruch, etc… Aber was versteht man unter potentiellem Gewebsschaden und wie kommt es zur Schmerzwahrnehmung im Gehirn?
Überall in unserem Körper befinden sich Sensoren, sogenannte Rezeptoren, welche am Ende unserer Nerven, in den Neuronen, liegen. Diese Rezeptoren sind auf bestimmte Stimuli spezialisiert und reagieren auf solche – beispielsweise auf mechanischeEinflüsse, wie einen Schlag; auf thermische Einflüsse, wie Wärme und Kälte; noch andere reagieren auf chemische Einflüsse von aussen und vom Körper selbst, wie Brennnesseln oder Laktat.
Wenn man nun seinen kleinen Zehen am Tisch stösst, öffnen sich die mechanischen Rezeptoren des Neurons in diesem Areal und positiv geladenen Teilchen von ausserhalb strömen hinein und lösen einen elektrischen Impuls aus. Dieser Impuls wird entlang der Nervenbahnen zum Rückenmark geleitet, wo wiederum der Impuls umgeschaltet wird und dem Rückenmark entlang zum Gehirn fliesst. Auch diese Nerven haben Spezialisierungen – gewisse Bahnen leiten mit einer Geschwindigkeit von bis zu 150km/h, während andere mit nur 1km/h leiten. Dies bedeutet, dass die Informationen, welche bis zum Gehirn gelangen, sehr limitiert sind. Wichtig hierbei ist, dass nicht «Schmerz» als Information übertragen wird, sondern «Gefahr in diesem Areal». Der Schmerz selbst wird schlussendlich erst vom Gehirn konstruiert, zusammen mit Informationen von den Augen (Lichtrezeptoren), Ohren (Schallwellenrezeptoren) und der Nase (Geruchsrezeptoren) – dieses Zusammenspiel ist unser erstes Warnsystem gegen potentielle Gefahr.
Bei potentiellen Gewebsschäden funktioniert das System gleich. Stell Dir vor, Du hältst Deine Hand zu nahm am Feuer. Die thermischen Rezeptoren in Deiner Hand öffnen sich und die Information «Temperaturerhöhung in der Hand» wird an Dein Gehirn weitergeleitet. Du ziehst Deine Hand sofort zurück! Dabei ist jedoch noch kein Gewebsschaden entstanden, jedoch nimmst Du es als Schmerz wahr. Zusammen mit Deinem Erinnerungsvermögen sieht Dein Gehirn die potentielle Verbrennung und sendet die nötigen Signale für einen entsprechende Reaktion an Deine Muskulatur.
Wie kann ein leichter Stoss manchmal keine Schmerzen auslösen und manchmal sehr schmerzhaft sein? Unsere ganzes Alarmsystem ist etwas komplizierter als oben beschrieben.
Das Neuron kennt nur die Funktion alles oder nichts. Wenn sich die Rezeptoren am Neuron öffnen und die elektrischen Teile einfliessen, wird das Neuron jeweils gereizt. Jedoch muss ein gewisses Level an Reizung erreicht werden, damit das Neuron den Impuls weiterleitet. Dieses Level wird die Reizschwelle genannt – wird diese überschritten, sendet das Neuron ein einzigesAktionspotential aus, welches entlang dem Nerv zum Rückenmark gelangt.
Ist nun das Neuron in einem Neutral- oder Ruhezustand, und man stösst sich leicht den Ellenbogen am Türrahmen, werden mit grosser Wahrscheinlichkeit keine Schmerzen empfunden. Nehmen wir jedoch an, dass man am Ellenbogen bereits einen blauen Flecken besitzt und man wird dort berührt, dann werden wir mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Schmerzen empfinden. Dies liegt daran, dass das Gebiet um den Ellenbogen bereits gereizt ist. Erwärmung und chemische Botenstoffe aufgrund der Entzündung haben die thermischen und die chemischen Rezeptoren der Neuronen in diesem Gebiet geöffnet und elektrische Teile sind eingedrungen – die Reizschwelle wurde jedoch noch nicht überschritten. Die Berührung (mechanischer Einfluss) ist der letzte Tropfen, welcher das Fass zum Überlaufen bringt – ein Aktionspotential wird ausgelöst.
Erreicht das Aktionspotential das Rückenmark wird es auf eine neue Nervenbahn umgeschaltet, welche zum Gehirn gelangt. Der Nerv aus der Peripherie, in diesem Beispiel vom Ellenbogen, schüttet eine ganz bestimmte Mischung von chemischen Substanzen in den Bereich zwischen den Endungen der Peripherie-Nerven und dem zentralen Nervensystem (Rückenmark) aus. Die Endungen des zentralen Nervensystems besitzen wiederum Neuronen mit jeweiligen Rezeptoren, welche nur durch bestimmte Chemikalien geöffnet werden. Einfach gesagt, schütter der Ellenbogennerv runde Chemikalien aus, so öffnen sich nur Neuronen des Rückenmarks, welche sich auf runde Chemikalien spezialisiert haben – das Schlüssel-Loch-Prinzip. Wird die Reizschwelle des neuen Neurons überschritten, so wird ein neues Aktionspotential über das Rückenmark zum Gehirn geleitet. Dann erst nehmen wir die Information als Schmerz wahr.
Nicht jedes Aktionspotential gelangt jedoch bis zum Gehirn. Bei der Umschaltung von der Peripherie auf das zentrale Nervensystem geschieht die erste Aussonderung der Informationen. Strömen Chemikalien in den Zwischenraum, kann es zu einer Überreizung des Systems kommen – jedes Neuron wird erregt und würde ein neues Aktionspotential auslösen. Im Zwischenraum enden jedoch auch Nervenbahnen, welche vom Gehirn runterführen. Diese Nerven schütten ein Cocktail aus Glückshormone in den Zwischenraum aus, wodurch die Situation sich beruhigt. Das Gehirn unterbindet die Entsendung von neuem Aktionspotential.
Dieser Cocktail kann bis zu 60mal stärker sein, als jegliche Injektionen oder Schmerzmittel. Dies erklärt, weshalb ein Ultra-Marathonläufer [1], welcher sich bei Kilometer 26 die Schulter aus- und wieder eingerenkt hat, die restlichen 160km noch zu Ende rennen und gewinnen kann.
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Zürich Altstetten
Literaturnachweis
[1] https://www.denverpost.com/2017/07/15/hardrock-100-2017-kilian-jornet/
