Faszinierende Faszien
25. Januar 2020
Seit ungefähr 10 Jahren ist die anatomische Struktur bekannt als Faszie in aller Munde. Faszienrolle, Faszienbälle, Faszienmassage, Fasziendistorsionsmodell (FDM), Faszienyoga etc… aber was sind diese Faszien eigentlich genau?
Die Faszien sind eine bindegewebige Matrix, welche alle unsere Körperstrukturen (Muskeln, Bänder, Knochen, Gelenke, Nerven, Blutgefässe und Organe) wie eine Verpackung umfasst. Dadurch geben uns die Faszien unsere Form (Körper) und dient als erste Schutzschicht bei Krafteinwirkungen von aussen.

Frank Liebig creator QS:P170,Q29586018, Spinnennetz in Tannenspitze, CC BY-SA 3.0 DE
Aufbau der Faszien
Die Körperfaszie kann in vier verschiedene Schichten aufgeteilt werden. Die äusserste Schicht gleich unter der Haut bildet die Pannikulusfaszie, oft auch als oberflächliche Faszie bezeichnet. Die Pannikulusfaszie besteht grösstenteils aus lockerem Bindegewebe und Fett und umfasst unseren gesamten Körper (Rumpf, Arme und Beine) mit Ausnahme von Körperöffnungen wie Mund, Augen, Nase etc.
Die zweite Schicht wird von der Rumpffaszie (tiefe Faszie oder Muskelfaszie) gebildet. Gleich dem Pannikulus, wird die Rumpffaszie aus dem embryonalen Mesenchym entwickelt. Sie bildet die primitive Matrix, in welcher während der embryonalen Entwicklung alle Skelettmuskeln, Knochen, Sehnen, Bänder und Gelenke entstehen. In den Armen und Beinen wird die Rumpffaszie meist als Muskelfaszie bezeichnet – die Funktion bleibt jedoch dieselbe: das dichte geflechtartige Bindegewebe dient als Schutz- und Gleitschicht des Bewegungsapparats und überträgt einen Teil der Kraft an den Gelenken bei der Muskelkontraktion.
Die dritte und vierte Faszienschicht werden von der Rumpffaszie umschlossen und werden als meningeale und viszerale Faszie bezeichnet. Die meningeale Faszie umschliesst und schütz unser Nervensystem, während die viszerale Faszie als Schutz und Aufhängung unserer inneren Organe fungiert.
Wichtig ist hierbei, dass diese vier Schichten nicht als einzelne Systeme zu betrachten sind, sondern als ein einheitliches Kontinuum der Gewebsstrukturen.
Die Körperfaszien gehören, wie die Gelenkkapseln und die intramuskulären und intraneuralen Septen, zum ungeformten (geflechtartigen), straffe Binde- und Stützgewebe unseres Körpers. Sehnen und Bänder hingegen bestehen aus geformten (parallelfaserigem) Bindegewebe. Der Unterschied liegt in der Anordnung der Kollagenfasern im Gewebe – als Reaktion auf die in verschiedenen Richtungen wirkende Spannungen bilden die Kollagenfasern im ungeformten, straffen Bindegewebe Netze, welche sich ebenfalls in verschiedene Richtungen verschieben und entfalten können. Im geformten Bindegewebe sind alle Fasern immer in dieselbe Richtung ausgerichtet – sie verlaufen aufgrund der immer gleichen Beanspruchung parallel zueinander. Daher sind Faszien im Vergleich mit Bändern sehr viel beweglicher und mobiler.
Grundsätzlich bestehen das ungeformte und geformte Bindegewebe aus denselben Bausteinen – aus Zellen und extrazellulären Matrix. Die Zellen werden in Fibroblasten/-zyten, Chondroblasten/-zyten und Osteoblasten/-zyten unterteilt. Zu welcher Gewebeart sich das Bindegewebe entwickelt, hängt davon ab, welche mechanischen Anforderungen auf das Gewebe respektive die mesenchymalen Zellen ausgeübt wird.
Wirken mehrheitlich Zugkräfte auf das Gewebe, so entwickeln sich grösstenteils Fibroblasten, welche wiederum überwiegend Typ-I-Kollagenfasern und nur wenig elastische Grundsubstanz produzieren, d.h. es entwickeln sich Sehnen und Bänder. Wenn aber vorwiegend Druck auf das Gewebe wirkt, entwickeln sich mehrheitlich Chondroblasten, welche ausschliesslich Grundsubstanz produzieren und nur sehr dünne Typ-II-Kollagenfibrillen. Dies findet man grundsätzlich im hyalinen Gelenkknorpel wieder.
Im Fasziengewebe entwickeln sich hauptsächlich Fibroblasten. Diese tragen jedoch nur einen kleinen Anteil zum Volumen der Faszien bei, haben allerdings eine wichtige Rolle im Aufbau/Struktur sowie bei der Fasziensteifigkeit. Die Aufgaben der Fibroblasten sind die Produktion der meisten Anteile, welche die Extrazellulärmatrix bilden – mit Ausnahme des vielen Wassers in der Faszie – sowie die Reparatur von Gewebsverletzungen während der Wundheilung.
Nebst den Fibroblasten befinden sich auch Adipozyten (Fettzellen) im Fasziengewebe. Die Adipozyten spielen nicht nur eine wichtige Rolle bei der Östrogenproduktion, sondern sind wichtige Hersteller von verschiedenen Peptiden und Zytokine, welche für die Appetit-, Insulin- und Blutzuckerregulation sowie für die Angiogenese (Wachstum von Blutgefässen), Vasokonstriktion (Gefässverengung) und Blutgerinnung verantwortlich sind – wichtige Substanzen während der Wundheilung. In der Faszie sind die Adipozyten dicht und zahlreich in Bereichen mit viel Scherkräften und Gleitbewegungen, denn sie dienen dort als Polsterung.
Mittels Untersuchungen wurde festgestellt, dass sich innerhalb der Faszie viele verschiedenste Arten von Rezeptoren befinden. Unteranderem sind dies myelinisierte propriozeptive sowie eine Vielzahl von unmyeliniserten «freien» Nervenendigungen. Diese Nervenendigungen liefern wichtige Signale für die Kontrolle von Bewegung und Körperhaltung (Proprioception) an unser Gehirn, wo mit Informationen aus anderen Quellen unseres Körpers die bewusste und unbewusste Wahrnehmung der Körperhaltung und -bewegung gebildet wird. Betrachtet man die Anzahl der Rezeptoren im Fasziegewebe, so ist diese wohl genauso gross, wenn nicht sogar grösster als die Anzahl Rezeptoren in der Retina (Netzhaut des Auges). Man kann sich daher gut vorstellen, dass die Faszie eines unser wichtigstes Wahrnehmungsorgan ist!
Einen effektiven Überlick zum Aufbau und zur Funktion der Faszie hat uns der französische Handchirurg Dr. Jean-Claude Guimberteau verschafft. Intraoperativ untersuchte er mittels Endoskops, wie sich die Fasern der Faszie bewegen und verhalten. In seinem Film „Strolling under the skin“ erhält man einen wunderbaren Einblick unter die Haut.
"PROMENADES SOUS LA PEAU OU A la découverte des architectures de la matière vivante", Dr. Jean-Claude Guimberteau
Aufgabe & Funktion der Faszien
Nebst der Aufgabe als Wahrnehmungsorgan, muss die Faszie sich sehr schnell in verschiedene Richtungen und Ebenen verformen können und gleich wieder in ihre Ausgangsform zurückkehren können – denn die Faszie wirkt als erster Schutzschild bei Krafteinwirkungen von aussen. Unsere Muskeln, Knochen und Gelenke vertragen grundsätzlich nicht allzu viel direkten Kontakt, ohne kaputt zu gehen. Vor allem um Muskelverletzungen (z.B. Muskelfaserrisse) vorzubeugen, muss die Faszie bei grossen, schnellen Krafteinwirkungen sofort als Stossdämpfer wirken, da die Muskulatur selbst zu langsam reagiert, um eine Verletzung zu verhindern.
Bei einseitigen, eindimensionalen Bewegungen kann es zu Verklebungen in der Faszie kommen. Dies sind sogenannte Crosslinks. Dadurch verliert die Faszie einen Teil ihrer Verschiebbarkeit. Somit kann die Faszie, wie im oben genannten Fall, nicht mehr die ganze Krafteinwirkung abfangen und es kann zu einem Muskelfaserriss kommen.
Nebst der Funktion als Schutzhülle, dient die Faszie aufgrund ihrer schichtartigen Anordnung, als Geit- und Verschiebeschicht. Man kann sich das so vorstellen, dass einzelne Nerven, Arterien, Venen, Muskeln und sogar Muskelgruppen von einer Faszie umhüllt sind und voneinander abtrennt. Die Faszie ermöglicht somit Bewegung zwischen den einzelnen Strukturen in unserem Körper.
Des weiteren unterstützt diese Architektur der Faszie die Muskulatur bei der Kraftübertragung zwischen Muskeln, Muskelgruppen und Gelenken bei Bewegung und Sport – es wird in sogenannte myofaszialen Ketten gearbeitet. Diese Ketten werden von verschiedenen Autoren verschieden benannt, eines haben sie jedoch alle gemeinsam: jede Muskelgruppe benötigt eine Basis, um ihre Funktion zu erfüllen. Diese Basis besteht aus anderen Muskelgruppen, welche wiederum von weiteren Muskelgruppen stabilisiert werden, etc. Auf der Theorie der myofaszialen Ketten basieren gewisse Therapieformen wie beispielsweise die propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation (PNF) von Dr. Herman Kabat. Dies ist eine Methode zu Behandlung von Muskellähmungen bei Poliomyelitis. Hierbei ist die Idee, dass gelähmte Muskeln im Zusammenspiel mit/über anderen Muskelketten aktiviert werden.
Therapie
Weshalb ist die Faszienbehandlung nun so wichtig und effizient? Stellen Sie sich nun das Fasziesystem als vier übereinanderliegende Strumpfhosen mit eingewachsenen Nerven, Blut- und Lymphgefässen vor. Diese vier Strumpfhosen müssen, um Bewegung zu ermöglichen, frei gegeneinander in alle Richtungen verschiebbar sein. Bei Crosslinks zwischen den Schichten kommt es nicht nur zu Einschränkungen der Beweglichkeit, sondern wirken sich diese auch direkt auf das Nerven-, Blut- und Lymphsystem aus.
Wenn Sie nun Strumpfhose an der Wade mit der Hand annähern, wie es zum Beispiel bei der Narbenbildung nach einer Operation im Fasziengewebe der Fall ist, so können Sie gut beobachten bis wo das die Stumpfhose auf Dehnung gebracht wird. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn man eine Verletzung/Einschränkung/Narbe hat, diese über andere Gelenke hinweg in einem anderen Körperabschnitt Probleme verursachen können.
Bei Schmerzen oder Einschränkungen des Bewegungsapparates gilt es als Physiotherapeut und Osteopath zu erkennen, in welcher Struktur sich die Blockade, diese reduzierte Mobilität, befindet, um dann eine entsprechend angepasste Technik anzuwenden damit die Einschränkungen und Schmerzen positiv beeinflusst werden und sich das Geweben in sein Normzustand zurückkehren kann.
Neue Untersuchungen scheinen zu belegen, dass sich Faszien kontrahieren können und bei der Kraftentwicklung und -übertragung eine wichtige Rolle spielen [1,2]. Daneben dienen sie zusammen mit den Muskeln, Sehnen und Gelenken als Absorptionsmechanismus von schnell einwirkenden Kräften. Von unserem Verständnis sind deshalb auch die Faszien im Gesamtzusammenhang mit den Muskeln zu betrachten und therapieren. Anhand der Beschwerden kann der Fokus des Trainings und der Therapie auf bestimmte Strukturen gelegt werden, allerdings sind diese wie erwähnt stark miteinander verknüpft so dass immer der gesamte Körper trainiert wird. Manual therapeutische Massnahmen zur Behandlung von faszialen und muskulären Problemen sind unteranderem Faszien-/Bindegewebsmassage, myofascial Release, FDM, Triggerpunkt und Dry Needling Therapie, PNF, Dehnungen, Faszienrollen, etc.
Training von Faszien
Die Faszien können und sollten zusammen mit dem gesamten Bewegungsapparat trainiert werden, um die Verschiebbarkeit und die Funktionalität zu gewährleisten. Allerdings ist es unserer Meinung nach sehr schwierig aufgrund der Anatomie und Funktion, die Faszie alleine zu trainieren: man trainiert das gesamte neuro-muskuläre System. Zentral ist jedoch, dass in allen Dimensionen gearbeitet wird und nicht nur einseitige Bewegungen ausgeführt werden. Trainingsformen wie Pilates und Yoga sind deshalb sehr gut an, aber auch Sprünge wie zum Beispiel beim Springseil springen sind hilfreich. Aber auch High Intensity Intervall Training (HIIT) bieten sich für fasziale Trainingsmethoden an. Beim HIIT werden die Gelenke allerdings mehr belastet als beim Yoga und Pilates, weshalb wir diese Form des Trainings mit Unterstützung durch einem Physiotherapeuten oder Personaltrainer, also unter Anleitung, empfehlen.
" Faszien - Geheimnisvolle Welt unter der Haut", alle Rechte bei arte.tv
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Osteopathie und Physiotherapie | Rehabilitation und Training
Zürich Altstetten
Literaturhinweise
Zügel M,Maganaris CN, Wilke J, et al.
Br J Sports Med 2018;52:1497.
[2] Are muscles mechanically independent?
Robert D. Herbert, Phu D. Hoang, and Simon C. Gandevia
J Appl Physiol 104: 1549–1550, 2008; doi:10.1152/japplphysiol.90511.2008.
Titelbildnachweis

anonym, Kreuzspinne, Netz im Gegenlicht, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons