Vorderes Kreuzband - Reha und Prävention
19. Januar 2021
Blogserie - Vorderes Kreuzband (VKB) Nr. 2
Reha und Prävention
Inzidenz
Wie bereits in unserem ersten Blog über Verletzungen der Kreuzbänder und des Knies ist eine Verletzung dieses Gelenkes und dessen beteiligten Strukturen sehr häufig, gerade des vorderen Kreuzbandes. Das sehen wir auch in unserer Praxis BodyLab Osteopathie und Physiotherapie in Zürich, wo wir immer wieder Patienten mit Verletzungen des Knies in Behandlung haben. Laut Unfallstatistik der Schweiz gab es im Durchschnitt der Jahre 2012-2016 jährlich rund 50‘000 Berufs- und Nichtberufsunfälle, bei denen das Knie im Sinne einer Verrenkung, Verstauchung oder Zerrung verletzt wurde. Die Kosten für diese Knieverletzungen betrugen im Durchschnitt über den gleichen Zeitraum mehr als 500 Mio. Schweizer Franken [1]. Majewski, Habelt und Steinbrück haben in einer zehnjährigen Studie alle bei ihnen registrierten Sportverletzungen des Knies in verschiedene Kategorien eingeteilt [2]. Total wurden in dieser Periode 7‘769 Knieverletzungen registriert, von denen 3‘482 entweder die Kreuzbänder, Seitenbänder oder die Menisken betrafen; diese wurden als interne Knieverletzungen zusammengefasst. Fast die Hälfte aller internen Knieverletzungen betrafen alleine das vordere Kreuzband (VKB) [2].
Kosten und Folgen einer vorderen Kreuzbandruptur
Diese Verletzungen kosten das Gesundheitswesen jährlich nicht nur mehrere Millionen Franken, akute Knieverletzungen können zudem aufgrund ihrer biochemischen Prozesse im Gelenk zu degenerativen Erkrankungen wie Chondropenie oder Osteoarthritis führen. Diese sekundären Probleme können im Alter zu vermehrten Einschränkungen im Alltag und auch beim Sport führen, sowie auch höhere Kosten als nur die der ursächlichen Verletzung verursachen [3]. Myklebust und Bahr zeigten sogar, dass 50-100% der Frauen, die eine VKB Ruptur erlitten haben, in den folgenden 10-20 Jahren radiologische Anzeichen einer Kniearthrose aufweisen werden [4]. Die Expertengruppe der deutschen Kniegesellschaft (DKG) beschreibt in ihrem Review zusätzlich die Tatsache, dass 7-24% der Patienten mit einem operierten VKB ebenfalls einen Kreuzbandriss des unverletzten Knies erleiden [5]. Bei jungen Patienten (<26) die eine Hochrisikosportart (z.B Fussball, Volleyball, Handball) betreiben, verletzt sich fast jeder vierte Sportler ein zweites Mal am VKB, nachdem er in seine Hochrisikosportart zurückkehrt. Dies geschieht am häufigsten in der frühen Return-to-Play (RTP) Phase, nachdem die Rehabilitation abgeschlossen ist [6]. Verglichen mit unverletzten gesunden Jugendlichen erhöht sich demnach das Risiko einer Verletzung des VKB bei Patienten mit einer Rekonstruktion um das 30- bis 40fache [6].
Frauen nach der Pubertät, die den gleichen Sport wie die Männer betreiben, sind zudem aufgrund diverser Faktoren wie Hormonhaushalt oder neuromuskulärer Kontrolle bereits bei der primären Verletzung einem 2- bis 10-fach höheren Verletzungsrisiko des VKB ausgesetzt [7].
Mehr über die Anatomie und Funktion der Kreuzbänder finden Sie hier in unserem ersten Blog.
Risikofaktoren
Die Literatur beschreibt diverse Risikofaktoren, die eine Ruptur des VKB begünstigen können. Diese Risikofaktoren werden in zwei Kategorien eingeteilt. Zum einen gibt es die extrinsischen Risikofaktoren wie Wetterbedingungen, Kleidung, Material oder Spielunterlage. Zum anderen gibt es die intrinsischen Risikofaktoren. Die intrinsischen Risikofaktoren können unter anderem anatomischer, physiologischer, neuromuskulärer, genetischer oder auch biomechanischer Natur sein [12].
Unter den anatomischen Risikofaktoren versteht man vor allem die Länge und Breite sowie das Volumen der Kreuzbänder. Zusätzlich gibt es Unterschiede im Winkel der Kreuzbänder, was ebenfalls einen Einfluss auf das Risiko einer VKB Verletzung hat.
Laut der Studie von Quatman et al. führte die Kombination von anteriorer Tibiatranslation und Innenrotation der Tibia, wie auch Abduktion und anteriore Tibiatranslation zu einer 3.9-fachen resp. 4.6-fachen Belastung des VKB im Vergleich zu normalen Landebedingungen [18].
Die Landung in einem Knie-Valgus erhöht die Belastung des VKB zusätzlich, da die Bodenreaktionskraft in dieser Position erhöht ist. Dies führt vor allem bei Frauen zu einem erhöhten Risiko für VKB Rupturen. Der Schwerpunkt des Körpers befindet sich bei „Non-Contact“ VKB Rupturen oft hinter dem betroffenen Knie. Durch die Kontraktion des M. Quadriceps femoris wird die Tibia nach anterior transliert. Dadurch kommt das VKB auf Zug. Damit das Gleichgewicht nicht verloren geht, wird die Hüfte gebeugt, was den M. Quadriceps femoris noch weiter kontrahieren lässt. Die ischiocrurale Muskulatur kann durch den ungünstigen Hebelarm das VKB nicht mehr ausreichend nach posterior unterstützen. Somit ist das VKB einer erhöhten Belastung ausgesetzt und das Risiko einer Ruptur steigt in dieser Position [11, 18].
Als neuromuskuläre Risikofaktoren beschreiben Myers et al. die verminderte Kraft der ischiocruralen Muskulatur im Vergleich zur Kraft des M. Quadriceps [19], Ebenfalls gelang es Pfeifer et al. herauszufinden, dass die ischiocrurale Muskulatur schneller ermüden, was das Ungleichgewicht zwischen M. Quadriceps und ischiocruraler Muskulatur erhöht [12]. Dies führt ebenfalls zu einem erhöhten Risiko für VKB Rupturen.
Zusätzlich wird deutlich gemacht, dass die biomechanischen Risikofaktoren, also die fehlerhafte Landetechnik und Knieposition, durch neuromuskuläre Trainingsprogramme modifiziert werden und so eine wichtige Strategie zur Verletzungsprävention sein können (Hewett, Myer und Ford [17]).
Nessler, Denney und Sampley resultieren aus ihrer Studie, dass die Valgusposition mit limitierter neuromuskulärer Kontrolle des Knies die höchste Gefahr für eine VKB Verletzung darstellt [13]. Diese Risikofaktoren werden mittels gezieltem Training präventiv behandelt. Neuromuskuläres Training gilt bis anhin als die einzige effektive Methode, um die Inzidenz von VKB Rupturen zu mindern [7].
Verletzungsmechanismen
Um Läsionen des VKB spezifischer betrachten zu können, werden sie in verschiedene Verletzungsmechanismen eingeteilt. Unter „Non-Contact Injury“ wird der Verletzungsmechanismus verstanden, bei dem keine Fremdeinwirkung durch eine andere Person oder einen gegnerischen Spieler zur Verletzung geführt hat. „Non-Contact Injury“ machen ca. 72-95% aller VKB Verletzungen aus [14, 15]. Von „Contact Injury“ wiederum wird gesprochen, wenn eine direkte Kraft auf das Knie wirkt, was zur Verletzung führt [16]. Verletzungen des VKB mit Fremdeinwirkung jedoch ohne direkte Kraftübertragung auf das Knie, werden von den Autoren als „Non-Contact Injury“ mit Störung bezeichnet [17]. Im Handball gibt es laut einer Studie von Olsen et al. zwei Bewegungsmuster, die hauptverantwortlich sind für die „Non-Contact“ VKB Verletzung [16]. Beide Situationen, das einbeinige Landen nach einem Sprungwurf und die schnelle Täuschung, resultieren in einer Valgusposition des Knies in leichter Flexion mit einer Rotation der Tibia.
Auf weitere häufige Verletzungsmechanismen wie zum Beispiel bei Skiunfällen oder im Fussball gehen wir hier in unserem ersten Blog genauer ein.
OP vs. konservative Behandlung
Obwohl intensiv nach optimalen Behandlungsmöglichkeiten für die Ruptur des VKB gesucht wird, gibt es einen Mangel an hochqualifizierten Studien zum Management dieser Verletzung. Zum jetzigen Zeitpunkt werden die operativen Massnahmen für Sportler oft der konservativen Therapie vorgezogen. Vor allem wenn es um Patienten geht, die Begleitverletzungen an Meniskus oder Innenband aufweisen oder aber ein ausgeprägtes Instabilitätsgefühl vorhanden ist [8, 9]. Die Rehabilitation nach einer VKB Ruptur mit anschliessender operativer Behandlung dauert mehrere Monate. Wobei die Literatur für unterschiedliche Sportarten auch unterschiedliche Zeitangaben macht; diese reichen von ca. 6 bis 13 Monaten. Zur Zeit gibt es jedoch noch nicht genügend Daten, um zu beurteilen, ob Sportler aus verschiedenen Sportarten auch unterschiedlich lange Rehabilitationsphasen benötigen, bevor sie in ihren Sport zurück können. Trotz allem gehen 83% der Eliteathleten nach einer VKB Rekonstruktion zurück in ihren Sport [10].
Fazit
Knie- und im speziellen vordere Kreuzbandverletzungen (mit oder ohne Beteiligung von weiteren Gelenkstrukturen) gehören zu den häufigsten Alltags- und Sportverletzungen des Bewegungsapparates.
Nach wie vor ist unklar, ob eine Operation zwingend notwendig ist und muss in jedem Einzelfall sorgfältig abgewogen werden.
Neuromuskuläres Training gilt bis anhin als die einzige effektive Methode, um die Inzidenz von VKB Rupturen zu mindern.
Eine Rückkehr in den Alltag wie auch Sport ist in den allermeisten Fällen wieder möglich. Gefahren liegen dort jedoch in der Return to Play Phase (RTP), wo sich viele Sportler ein zweites Mal verletzen.
In unserem nächsten Blog über Kreuzbänder betrachten wir die Behandlungsmöglichkeiten etwas näher.
Wenn Sie uns brauchen, wir sind gerne für Sie da!
Ihr BodyLab Team – Ihre Spezialisten nach körperlichen Verletzungen
Osteopathie und Physiotherapie | Rehabilitation und Training
Zürich Altstetten
Literaturhinweise
KSUV
Koord. für die Stat. der Unfallversicherung UVG, vol. 1, no. 1, pp. 1–64, 2018.
[2] Epidemiology of athletic knee injuries: A 10-year study
M. Majewski, S. Habelt, K. Steinbrück
Knee, vol. 13, no. 3, pp. 184–188, 2006.
L. S. Lohmander, H. Roos, L. Dahlberg, L. A. Hoerrner, M. W. Lark
J. Orthop. Res., vol. 12, no. 1, pp. 21–28, 1994.
[4] Return to play guidelines after anterior cruciate ligament surgery
G. Myklebust, R. Bahr
Br. J. Sports Med., vol. 39, no. 3, pp. 127–131, 2005.
[5] Wiederkehr zum Sport nach VKB-Rekonstruktion
W. Petersen et al.
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A. J. Wiggins, R. K. Grandhi, D. K. Schneider, D. Stanfiled, K. E. Webster, G. D. Myer
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T. E. Hewett, G. D. Myer, K. R. Ford, M. V. Paterno, C. E. Quatman
J. Orthop. Res., vol. 34, no. 11, pp. 1843–1855, 2016.
M. Krause, K. H. Frosch, F. Freudenthaler, A. Achtnich, W. Petersen, and R. Akoto
Dtsch. Arztebl. Int., vol. 115, no. 51–52, pp. 855–862, 2018.
[9] A Systematic Summary of Systematic Reviews on the Topic of the Anterior Cruciate Ligament
M. J. Anderson, W. M. Browning, C. E. Urband, M. A. Kluczynski, and L. J. Bisson
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C. C. H. Lai, C. L. Ardern, J. A. Feller, and K. E. Webster
Br. J. Sports Med., vol. 52, no. 2, pp. 128–138, 2018.
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[12] Risk Factors Associated With Non-Contact Anterior Cruciate Ligament Injury: a Systematic Review
C. E. Pfeifer, P. F. Beattie, R. S. Sacko, and A. Hand
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[13] ACL Injury Prevention: What Does Research Tell Us?
T. Nessler, L. Denney, and J. Sampley
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[14] PROMETHEUS Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem
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[15] Anatomie Knie
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[Online]. Available: https://klinikam-ring.de/orthopaedie/erkrankungen/kniegelenk/anatomie-kniegelenk/. [Accessed: 25-Feb-2019].
O. E. Olsen, G. Myklebust, L. Engebretsen, and R. Bahr
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C. E. Quatman et al.
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G. D. Myer, K. R. Ford, K. D. Barber Foss, C. Liu, T. G. Nick, and T. E. Hewett
Clin. J. Sport Med., vol. 19, no. 1, pp. 3–8, 2009.
Titelbildnachweis

Mak-Ham Lam, Daniel TP Fong, Patrick SH Yung, Eric PY Ho, Wood-Yee Chan and Kai-Ming Chan, ACLI 18, CC BY-SA 2.0